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Wohnimmobilien für Allergiker

Wenn die Augen tränen und die Nase läuft: Ein Volksleiden als Marktlücke

Die Zahl der Allergiker ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Laut neuesten Erhebungen der Versicherungsträger sind bundesweit etwa 25% der Erwachsenen und 30% der Kinder von dem "Volksleiden" betroffen. Auf solche Beschwerden ausgelegte Immobilien, so die Überlegung, könnten den Kranken Erleichterung und der Wohnungswirtschaft einen ständig wachsenden Kundenstamm bescheren. Doch die Allergieformen sind vielfältig und die Stoffe, die sie auslösen, ebenfalls. Daher scheiden sich auch die Geister darüber, welcher Haustyp und welche Baumaterialien für welchen Kranken geeignet sind. Fest steht, dass es das allergikergeeignete Haus schlechthin nicht gibt.

Schon werben einige Ferienhäuser, Hotels oder Planungsbüros in Anzeigen mit dem Prädikat "allergikerfreundlich". Bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieser so großartig klingende Service als unspektakulärer Fliesenboden, synthetischer Vorhang oder Parkettbelag. Doch gegen diese Etikettierung kann niemand vorgehen, denn der Begriff ist nicht geschützt. Von einem Standard, der festlegt, wann eine Haus als allergikergeeignet bezeichnet werden darf, ist den Sprechern des Bundesbauministeriums, des Gesundheitsministeriums, des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung nichts bekannt. "Natürlich sehen wir das Problem, aber in unserem Haus ist das kein Thema", erklären Mitarbeiter des Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmer und des Normenausschusses Bauwesen in Berlin unisono. Die Frage nach Fördermöglichkeiten erübrigt sich da, denn was es nicht gibt, kann auch nicht bezuschusst werden.

"Gesundheitsverträglichkeit ist kein Thema"

Alle reden über Allergien, aber niemand entwickelt wirklich effektive Strategien? Das ist im Baubereich nicht ganz von der Hand zu weisen, sagt Lara Schröder vom Institut für Bauforschung in Hannover. "Das Thema Energieeinsparung steht hier im Mittelpunkt, sinnvoll wäre aber eine ganzheitliche Betrachtung unter dem Stichwort gesundheitsverträgliches Wohnen." Die technische Angestellte macht eine gewisse Schwerfälligkeit im Bausektor aus. "Die Branche kann mit Neuentwicklungen nicht mithalten, da ist immer ein Zeitverzug." Dass das Thema Allergie im Baubereich bestenfalls eine Randerscheinung ist, erklärt Schröder auch mit der mangelnden Verknüpfung zwischen den Bereichen Medizin und Bau. "Der Klärungsbedarf hinsichtlich dessen, was gesundheitsverträglich ist und was nicht, entsteht erst, wenn se schon zu spät ist", findet sie klare Worte. Problematisch sei weiterhin die dünne medizinische Forschungslage. "Allergikerfreundliche Werkstoffe für den Hausbau zu definieren, das ist ein mühseliges Geschäft, denn welches Produkt kann man heute schon als hundertprozentig geeignet einstufen?" Immerhin bemühten sich Produkthersteller darum, ihre Entwicklungen auf Gesundheitsverträglichkeit prüfen zu lassen. Doch welches Gütesiegel hält, was es verspricht? "Einige davon taugen nur zu Werbezwecken, andere haben harte Anforderungen", sagt Schröder, die derzeit eine Liste aller vorhandenen Gütesiegel mit Bewertung zusammenstellt.

Gütesiegel für Werkstoffe

Folgt man den Ausführungen von Guido Kuphal, dem technischen Leiter des Bundesverbandes Deutscher Fertigbau (BDF) in Bad Honnef, dann wird eine "Kombination aus ökologischem und allergiefreundlichem Bauen zum Trend", auf den sich die Wohnungswirtschaft einstellen muss. Ein Standard für das allergiefreundliche Haus existiere zwar nicht, "aber es gibt verschiedene wohnklimatische Verhältnisse, die Allergien züchten, und darauf müssen wir unser Augenmerk richten." Der Feuchtigkeit als idealem Nährboden für Schimmelpilze - einem wesentlichen Allergieträger - könne mit einem sogenannten Holztafelbau begegnet werden, "der im Trockenbau erstellt wird, also schon bei seiner Errichtung nicht feucht ist", erläutert Kuphal. Für Pollenallergiker sei Aktivkohlefilter in einer Lüftungsanlage sinnvoll, der regelmäßig neue Zuluft gegen die verbrauchte Innenluft austauscht, ohne dass das Fenster geöffnet werden muss. "Solche Lüftungsanlagen gibt es bei einigen Fertighausanbietern schon standardmäßig", betont der technische Leiter des BDF und ergänzt: "Es gibt auch viele Leute, die sich nach so etwas erkundigen." Dem Allergieproblem wie überhaupt dem Aspekt Wohngesundheit zupass kämen natürliche, emissionsfreie Werkstoffe, wie sie gerade beim Holz(fertig)bau verwendet würden. "Die Baustoffe unserer Mitgliedsunternehmen unterliegen diesbezüglich generell scharfen Anforderungen", fügt Kuphal hinzu. Überwacht werde die Einhaltung gewisser technischer Kriterien durch die Qualitätsgemeinschaft Deutscher Fertigbau (QDF) in Bad Honnef, der die Mitgliedsunternehmen des BDF angeschlossen sind.

Ökologisch ist nicht gleich allergikergeeignet

Im Zusammenhang mit dem Stichwort "allergikergerecht" wird immer wieder das Öko-Haus ins Feld geführt, also ein Gebäude, das sich unter anderem durch seine natürlichen Materialien auszeichnet. Doch nicht jeder Werkstoff, der umweltverträglich - also frei von chemischen Zusätzen - ist, muss zwangsläufig auch allergikerfreundlich sein. Im Gegenteil: Ein ökologischer Baustoff ist für manchen Kranken sogar gänzlich ungeeignet. Darauf weisen Verbraucherschützer wie auch das Institut für Umwelt und Gesundheit (IUG) in Fulda hin. Im Wissen um diese Problematik hat das IUG, das sich auf die Untersuchung von Schadstoffen in Baumaterialien und Innenräumen spezialisiert hat, einen Prüf- und Kriterienkatalog für ein "Allergiker-gerechtes Haus - Allökh" entwickelt. Ziel des Allökh-Konzeptes sei neben einer ökologischen Prüfung von Gebäuden auch die Untersuchung auf eine Eignung für Allergiker, sowie die Vergabe eines entsprechenden Labels, erklärt Michael Fischer. Der schier endlose Katalog beschränkt sich nicht auf Baustoffe (Farben, Lacke, Holzschutzmittel, Klebstoffe usw.) oder Einrichtungselemente (Heizungsanlagen, spezielle Lüftungsvorrichtungen etc.), sondern bezieht Faktoren wie die Konstruktion beziehungsweise die Grundstückslage mit ein, hat also eine ganzheitliche Planung - umweltverträglich und gesund - im Sinn.

Passivhaus mit "Nebenwirkungen"

Offenbar eingeschränkt allergikergeeignet ist das Passivhaus, ein Gebäude mit so geringem Heizwärmebedarf, dass eine separate Heizung überflüssig wird. Für Betroffene interessant macht dieses Haus die kontrollierte Be- und Entlüftung. Auf eine Frischluftzufuhr durch das Fenster kann in diesem Fall verzichtet werden. Im Passivhaus Institut in Darmstadt, das sich mit Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet hocheffizienter Energienutzung befasst, wird zumindest auf die Eignung des Passivhauses für Asthmatiker und Pollenallergiker hingewiesen. Institutssprecherin Barbara Löbau berichtet von einer großen "Beliebtheit" unter den Betroffenen, räumt zugleich aber ein, dass der Aspekt "allergikerfreundlich" nichts weiter als ein "schöner Nebeneffekt" sei, die Energieeffizienz stehe beim Passivhaus klar im Vordergrund. Die "erfreuliche Nebenwirkung" genauer unter die Lupe nimmt immerhin eine Studie über das Passivhaus Darmstadt Kranichstein, die im Auftrag des "Arbeitskreises Kostengünstige Passivhäuser" erstellt wurde: Träger dieses Kreises sind die Bundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen, die Preussen Elektra AG, die Landesentwicklungsgesellschaft NRW GmbH und der Projektentwickler Viterra AG. In der Analyse über Materialwahl, Ökologie und Raumlufthygiene heißt es: "Offenbar ist die Lüftungsanlage - obwohl nicht für diesen Zweck konzipiert - in der Lage, sowohl die Pollen als auch die hohen Pilzkonzentrationen in der Außenluft stark zu reduzieren." Selbst bei Fensterlüftung sei die Sporenbelastung in den Wohnräumen "immer noch deutlich geringer" gewesen als die in der Außenluft. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass "die Schwellenwerte für allergische Symptome im Passivhaus zu keinem Zeitpunkt erreicht wurden". Für eine weitere Verbesserung der Innenluftqualität sei allerdings eine Reduzierung der Belastungen der verwendeten Baumaterialien notwendig, "denn ohne Zweifel liegen hier die Quellen für den größten Teil der Wohnraumbelastungen". Auf der Grundlage dieser Forschungsergebnisse kann man dem Passivhaus das Etikett "allergikergeeignet" zumindest eingeschränkt anheften. Das IUG, welches das Passivhaus ebenfalls in seine Untersuchungen mitaufgenommen hat, kommt jedoch zu anderen Ergebnissen. Besonders kritisch werden hier das Prinzip der kontrollierten Be- und Entlüftung und seine Wirkung auf Allergiker gesehen. In einer Studie heißt es: "Der Einsatz von immer neuen Chemikalien in Bauprodukten und Einrichtungsgegenständen (...) führt bei niedrigen Luftwechselraten, wie sie insbesondere bei energetisch optimierten Häusern auftreten, zu Gesundheitsbeeinträchtigungen von Bewohnern und Nutzern. Besonders betroffen ist hier die immer größer werdende Gruppe der Allergiker".

"Allergiker-Haus? - Dummes Zeug"

Das Thema Allergie hält allmählich Einzug im Baubereich, doch mit der Vergabe des Prädikates "allergikergeeignetes Haus" sind die Gutachter vorsichtig, denn die medizinische Forschungslage ist zu dünn, um stichhaltige Bewertungen abgeben zu können. So darf der Begriff ungeprüft verwendet werden, dient bestenfalls oft nur als Marketinginstrument. Mehr als skeptisch in bezug auf den Sinn eines speziell für Allergiker konzipierten Hauses äußert sich der Dermatologe Prof. Dr. Friedrich A. Barmer, Direktor der Hautklinik im Bremer Zentralkrankenhaus. Der Experte hält nichts von einer klinischen "Waschküche", das sei "Völlig überzogen und dummes Zeug". Barmer rät vielmehr dazu, "Extreme zu meiden". "Man sollte nicht in einer verpilzten Bude leben, aber auch nicht in einem vollautomatischen Klima." 


 

 

Datum:1. 5. 2000
Quelle:Immobilien Zeitung

 




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