| | Krank sein kann stark machen Virusinfektionen können einen "Trainingseffekt" für das Immunsystem von Kindern bewirken Letzte Woche Scharlach, davor Windpocken und jetzt läuft schon wieder die Nase - viele Eltern von Krippenkindern kennen solche nie enden wollenden Krankheitsgeschichten zur Genüge. Sie machen sich oft grosse Sorgen um die Gesundheit ihrer Sprösslinge, doch einen Grund zur Beunruhigung gibt es nicht: "Die Infektionen können sogar nützlich sein", sagt Sabina Illi von der Universitätskinderklinik in München. Viruserkrankungen hätten einen wünschenswerten "Trainingseffekt" auf das Immunsystem von Kindern, schreiben Illi und ihre Kollegen in einer Studie im aktuellen Heft der Ärztezeitung "British Medical Journal" (BMJ). Dadurch, so das Fazit der Untersuchung, können Überreaktionen wie etwa Asthma und Allergien verhindert werden. Sieben Jahre lang verfolgten die Münchner Pädiater die Entwicklung von mehr als 1300 Mädchen und Knaben, die 1990 in fünf deutschen Kinderspitälern geboren wurden. Die Kleinen wurden regelmässig untersucht, und ihre Eltern wurden nach deren Krankheiten, Allergien und vor allem asthmatischen Symptomen wie einer erschwerten, pfeifenden Atmung befragt. Ausserdem untersuchte das Ärzteteam das Blut der Kinder einmal jährlich auf bestimmte Abwehrstoffe, die auf Allergien, etwa gegen Hühnereiweiss, Soja oder Hausstaubmilben, hinweisen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Verglichen mit Kindern, die während des ersten Lebensjahres höchstens einmal Schnupfen hatten, erkrankten chronische Rotznasen bis zum Schulalter 50 Prozent seltener an Asthma und Allergien. Auch Infektionen mit Herpes-Viren wie etwa Windpocken scheinen das Asthma-Risiko zu halbieren. Masern-Infektionen haben ähnlich positive Auswirkungen. Vorsicht geboten ist bei Infektionen der unteren Atemwege Einzig wenn Keime die unteren Atemwege wie Bronchien oder Lungengewebe angreifen, bleibt der Schutzeffekt aus. Ja, sie können die Entstehung von Asthma gar begünstigen. Das kann jedoch laut Sabina Illi unter anderem daran liegen, dass Kinder aus so genannten Risiko-Familien (in denen wenigstens zwei Angehörige ersten Grades unter Asthma oder Allergien leiden) häufiger solche tiefen Infektionen hatten. "Das waren wahrscheinlich die ersten Anzeichen eines Asthmas", sagt die Studienleiterin, weil die Lungen der Kinder erblich bedingt anfälliger seien. Vollkommen überraschend sind die Resultate der Studie indes nicht. "Die Ergebnisse passen sehr gut in das Bild der Hygiene-Hypothese", sagt Charlotte Braun-Fahrländer vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin an der Uni Basel. Diese These besagt, dass zu viel Hygiene und die dadurch bedingte mangelnde Auseinandersetzung des unreifen, kindlichen Immunsystems mit Krankheitserregern zu den allergischen Überreaktionen führen. Mehrere Studien, die nach den Ursachen für die ständige Zunahme von Asthma und Allergien in Industieländern suchten, stützen die Hygiene-Hypothese. So zeigten etwa englische und deutsche Untersuchungen, dass Kinder, die mit mehreren Geschwistern aufwachsen oder in Kinderkrippen betreut werden, seltener unter allergischen Erkrankungen leiden. Auch der Umgang mit Kühen, Geflügel und anderen Tieren hat einen positiven Einfluss auf das Immunsystem, wie Untersuchungen aus Basel bereits belegen. Wie die Infektionen den Allergie- und Asthmaschutz bewirken, ist noch unklar. Die Münchner Forscher mahnen daher zur Vorsicht: "Wir raten auf jeden Fall davon ab, Kinder auf Masern- oder Windpocken-Partys zu schicken oder im Regen spielen zu lassen, bis sie erkältet sind." Auch auf eine Impfung gegen Masern sollte wegen der erheblichen Komplikationen, die diese ansteckende Kinderkrankheit haben kann, keinesfalls verzichtet werden. Nun wollen die Forscher herausfinden wie der Schutzeffekt zu Stande kommt. Dieses Wissen kann dann möglicherweise für neue Therapien genutzt werden. "Man kann sich potenziell vorstellen", sagt die Basler Präventivmedizinerin Braun-Fahrländer, "mit einer Impfung das Immunsystem so zu beschäftigen, dass gar keine Allergien entstehen. Datum: | 25. 2. 2001 | Quelle: | Sonntagszeitung (Schweiz) / Claudia Nientit |
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